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Angst in Bewertungssituationen - Druckversion

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Angst in Bewertungssituationen - DerBerater - 04.06.2019

Guten Abend zusammen,
Mein Name ist Simon und ich bin 23 Jahre alt.
Meine Angststörung schlich sich in den letzten drei Jahren in mein Leben.
Während der Ausbildung hat es begonnen, ich habe immer mehr geschwänzt. Nach der, zum Glück, bestandenen Ausbildung habe ich im Ausland studiert und dort wurde es viel schlimmer. 
Ich habe mich in meinem Wohnheimzimmer verkrochen, aber alle Arbeiten abgegeben und mit Ach und Krach bestanden und meinen Bachelor bekommen.
Nach dem Auslandsstudium, bin ich wieder bei meinen Eltern eingezogen. 
Sie haben gemerkt wie ich mich zurückzogen habe und haben mich daraufhin irgendwann angesprochen. Das war im September letzten Jahres. 
Auf die Frage was denn los mit mir sei, bin ich emotional zusammen gebrochen und bin beim Hausarzt gelandet. 
Von hier aus habe ich direkt eine Ãœberweisung zu einer Psychotherapeutin bekommen, die mir erklärte ich habe eine Angststörung speziell in Bewertungssituationen - sprich bei bspw. Präsentationen von Arbeitsergebnissen.
Ich habe soweit auch alle Therapiestunden wahrgenommen und habe mich von Mal zu Mal besser und auch sicherer gefühlt.
Im April diesen Jahres habe ich dann auch angefangen als Unternehmensberater zu arbeiten.
Ich bin an sich sehr sehr glücklich in der Firma in der ich mich jetzt befinde. 
Die Kollegen sind super lieb, ich verstehe mich mit jedem sehr gut und das Arbeitsklima ist sehr locker und persönlich. 
Als Berater habe ich unter anderem die Aufgabe wichtige Informationen in Präsentationen zusammenzufassen und diese dem Kunden vorzustellen.
Mittlerweile hat mich meine Angst wieder total in der Hand, schlimmer als denn je.
Ich bin zurzeit noch in einer Schulungsphase in der ich jeden Tag Aufgaben bearbeiten muss und auch hin und wieder mal vor dem Vorstand Ergebnisse präsentieren muss. Jede Aufgabe bedeutet für mich pure Angst, mein Kollege hingegen freut sich über jede Aufgabe, wie unterschiedlich wir Menschen doch sein können.  094
Es ist jetzt schon so weit, dass mein Kopf die Geschäftsstelle mit Angst verknüpft. Das heißt: Wenn ich morgens zur Arbeit fahre und im Auto sitze, wird mir schon sehr unwohl und ich bekomme Bauchschmerzen.

Für mich ist aufgeben eigentlich keine Option, aber mittlerweile zerfrisst mich die Angst psychisch total und ich habe schon an Kündigung gedacht.

Ich dachte immer: Wenn ich Angst vor dem 10 Meter Brett habe und dann einmal herunter gesprungen bin, ist es beim zweiten und dritten mal viel viel leichter.
Bei mir ist es so, dass die Angst von Präsentation zu Präsentation immer schlimmer wird und ich nicht denke, dass mir eine weitere Therapie helfen könnte, denn die berühmten Techniken kenne ich ja schon.

Es wäre einfach mal schön sich mit Gleichgesinnten auszutauschen, vielleicht hat ja noch jemand diese "Angst in Bewertungssituationen" und hat Tipps wie ich damit am Besten umgehen könnte.


RE: Angst in Bewertungssituationen - Christian - 07.06.2019

Hallo DerBerater,

Angst ist Angst. Ganz egal um welche Situation es geht. Ob nun in "Bewertungssituationen" oder woanders. Dein Gehirn spielt einen sehr lebhaften und realistisch wirkenden Film vor deinem Inneren Auge ab. Einen Film von der Zukunft, die du erwartest. Du hast also keine Angst vor Bewertungssituationen, sondern vielmehr vor einem negativen Ergebnis wie z.B. vernichtender Kritik, also vor Zurückweisung oder sozialer Ausgrenzung.


Stell dir mal vor du wärst in einer Präsentation. Du hast dein Projekt bzw. deine Aufgabe bereits erfolgreich präsentiert und alle im Raum klatschen. Du siehst in ihre Gesichteer. Sie lächeln, beglückwünschen dich, schütteln dir die Hand und danken dir euphorisch für die fantastische Arbeit! Hast du vor dieser Zukunft Angst? Immerhin wurdest du bewertet - und zwar top, wunderbar und positv! Das macht nur keine Angst.

Um Angst zu verspüren brauchst du die innere Repräsentation einer Zukunft, die du auf gar keinen Fall erleben willst. Also eine Zukunft, die dir extrem schlechte Gefühle macht. Dein Gehirn hat lediglich gelernt beim Gedanken an das Präsentieren deiner Arbeitsergebnisse automatisch eine extrem miese Zukunft zu erwarten. Darin gleicht deine Angst sowohl Prüfungsangst, Höhenangst, Angst vor der Dunkelheit oder jeder beliebigen anderen. Wenn wir Angst haben, haben wir Angst vor einem extrem miesen Endergebnis und nicht vor der Situation an sich.

Alles was nun zu tun ist, ist täglich dutzende Male das positive Endergebnis deiner Präsentation zu visualisieren. So wie viele Profi-Sportler in ihrem Kopf vorher den optimalen Ablauf ihrer Ãœbung wieder und wieder durchgehen. Ein Renn-Rodler denkt vor seinem Lauf nicht 10 mal daran wie es ihn aus der Eisbahn schießt, sonder er stellt sich vor wie er erfolgreich eine Kurve nach der Anderen durchfährt. Auch ein Schwimmer verschwendet keinen Gedanken daran, er könne ertrinken. Er sieht und fühlt sich im Geiste bereits die richtigen Bewegungen machen und als erster anzuschlagen. Unbewusst ein positives Endergebnis zu erwarten ist das Ergebnis täglicher Wiederholung. So bringst du deinem Gehirn nach und nach bei diesen Situationen eine neue Bedeutung zu geben. Es kann natürlich sein, dass dein Gehirn Daten auf eine Weise filtert, die hierbei nicht so hilfreich ist. Das kannst du für dich testen.

Woraus ziehst du mehr Energie? / Was bringt dich schneller in die Handlung?
-> Einen unerwünschten Zustand vermeiden.
-> Einen gewünschten Zustand erreichen.

Das ist einer von vielen Datenfiltern, die Gehirne nutzen. Du kannst dir das wie zwei Pole vorstellen, die durch eine Linie miteinander verbunden sind. Irgendwo auf dieser Linie befinden wir uns und wo genau - das ist für jeden Menschen unterschiedlich. Je näher wir uns an einem der Pole befinden, desto mehr Energie ziehen wir daraus, bzw. desto mehr fokussieren wir uns auf diese Daten. Manche Menschen haben den Fokus mehr auf potentiellen Problemen/Hindernissen und erkennen Gefahren und Unwägbarkeiten so schneller/leichter. Das ist "Weg-von". Andere sind extrem Zielorientiert, können sich leicht für Projekte begeistern, übersehen dabei jedoch leicht mögliche Schwierigkeiten und Gefahren. "Das ist "Hin-zu".

Jeder dieser Filter ist extrem nützlich. Menschen, die eine starke "Weg-von-Motivation" haben, sind meiner Erfahrung nach auch etwas anfälliger für Ängste, da sie sich von Natur aus häufiger mit Worst-Case-Szenarien beschäftigen. Für Menschen mit diesem Filter ist es umso wichtiger, bewusst und regelmäßig "Best-Case-Szenarien" zu visualisieren, um eine positive Erwartungshaltung an ihr Leben aufrecht zu erhalten, während die überwiegend "hin-zu-motivierten" Menschen bewusst darauf achten dürfen, mögliche "Schlaglöcher" nicht zu übersehen.

Angst vor Zurückweisung und gesellschaftlicher Ausgrenzung kann sich jedoch auch durch ein Trauma bilden, also ein Erlebnis in der Vergangenheit, dem das Gehirn eine Referenzbedeutung für zukünftige Situationen beimisst, sofern der Kontext der Referenz ähnelt.

So oder so wirst du deine Angst nur durch das Geben neuer Bedeutung aufgelöst bekommen. Dein Gehirn braucht also einen neuen Referenzwert für "Was passiert, wenn ich bewertet werde". Sobald es dieses positive Szenario als neue "Wahrheit" aktzeptiert, ist die Angst weg. Das kann durch ein einmaliges, extrem einprägsames und emotional intensives Erlebnis geschehen oder durch stetige Wiederholung. Wenn du keinen Trainer/Therapeuten/Coach hast, der sich mit Visualisierungstechniken/Hypnose auskennt oder nur rudimentäre Erfahrungen damit hat, empfehle ich das Selbsttraining durch stetige Wiederholung, wobei ich das auch dann empfehle, wenn du einen tollen Trainer/Coach/Therapeuten hast. Wink

Liebe Grüße, Christian